Immer etwas zu tun haben, etwas leisten, die Zeit sinnvoll verbringen und nutzen, keine Zeit verschwenden, sich mit etwas nützlichem beschäftigen, produktiv sein, mit seinen Händen etwas erschaffen, etwas bauen, konsumieren, etwas verarbeiten, irgendwas nützliches verbloggen - das Tun scheint einer der Hauptwerte der modernen Zeit zu sein.
Wir tun etwas für unsere Bildung, unsere Gesundheit, die Figur, für die Familie, für die Gesellschaft. Wir tun etwas für unsere Zukunft. Wir machen und wir tun den ganzen Tag... und selbst wenn wir uns ausruhen, den Abend genießen, tun wir noch etwas: wir tun was für unsere Unterhaltung, wir planen den nächsten Tag, wir tun eventuell noch was für unsere Fitness oder unser Sexualleben, für unseren Genuß oder den Haushalt.
Nur ganz selten tun wir nichts. So richtig nichts.
Und das, obwohl wir seit Jahrzehnten immer mehr Haushaltgeräte und Supermärkte haben, kaum mehr zu Fuß gehen und eigentlich massenhaft Zeit fürs Nichtstun haben sollten. trotzdem haben wir diese Zeit nicht - wir vergeuden sie mit Tun oder mit der Illusion von Tun. Es ist wie ein Fluch: das Tun läßt uns nicht los.
Was ist "TUN"?
Wir definieren uns über unser Tun und leiten die Höhe unseres gesellschaftlichen Wertes/Ranges davon ab. Je mehr einer tut, desto wertvoller ist er. Nicht unbedingt nur für sich selbst, sondern auch für die Gesellschaft. (an dieser Stelle müßte eigentlich zwingend eine Definition des Wortes Gesellschaft stehen, aber ich habe gerade keinen Nerv dazu. "Gesellschaft" verwende ich freiweg im allgemein gebräuchlichen Sinne)
Kindern wird schon im frühesten Alter der Sinn nutzvoller Freizeitbeschäftigung nahegebracht, im Schulalter schon haben sie einen wohlgefüllten Terminkalender, der locker mit dem eines Managers mithalten kann, um ja keine Zeit fürs Nichtstun übrigzuhaben. Freie Minuten werden mit Tun ausgefüllt, Nichtstun wird nicht zugelassen.
Und man fühlt sich auch gleich viel besser und wertvoller, wenn man viel getan hat. Oder gefühlt viel getan hat. Oder überhaupt etwas getan hat. Je mehr desto besser, aber selbst wenn es nicht viel ist, Hauptsache mehr als nichts. Denn nichts tun ist böse.
Nichtstun wird mit Faulheit, Müßiggang, Nichtwollen und Nichtkönnen gleichgesetzt, zumindest in den unteren und mittleren Schichten der Gesellschaft. In den höheren Schichten wiederum ist es ein Zeichen von Reichtum und purer Luxus, nichts gesellschaftsrelevantes tun zu müssen, sondern sein Tun allein nach persönlicher Lust und Laune ausrichten zu können. Oder eben auch mal nichts zu tun.
(Daß auch gewisse Schichten der Bevölkerung mit voller Absicht nichts tun, weil sie der Überzeugung sind, anderer täten schon genug und deren Tun würde für sie mitzählen, ist ein weiterer Punkt, den ich jetzt einfach undiskutiert so stehen lasse.)
Aber warum müssen wir ständig, den ganzen Tag lang etwas
tun? Warum verspüren wir (nun gut, nicht alle, aber ziemlich viele) den Drang danach, unsere Zeit mit etwas sinnvollem und nützlichen zu füllen und andere ebenfalls dazu anzuhalten? Warum haben wir eine solch starke Abneigung gegen das Nichtstun und die Nichtstuer?
Ich sage euch: das ist der Fluch. Der Fluch des Tuns. Und der wird uns noch ganz gehörig zu schaffen machen. Spätestens wenn die ganze Erde von den Früchten unseres Tuns zugemüllt ist, man kein freies Plätzchen mehr findet, um noch etwas getanes hinzustellen, dann wird ein Umdenken stattfinden. Doch warum so lange warten? Ich biete ab sofort einen Kurs in kreativem Nichtstun an, damit jeder etwas für sein Nichtstun - ähm -
tun kann. Jawohl. ;-)
Carpe diem - 【ツ】
Sathiya